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Wie Ihre Sprachkenntnisse Ihre Moral bestimmen

Wir alle haben feste Moralvorstellungen, an denen wir unser Handeln Tag für Tag ausrichten. Sie entstammen unserer Kultur, unserem Umfeld und laut neuesten Studien von Forschern der Universität von Chicago und Barcelona wohl auch unseren Fremdsprachenkenntnissen, denn: Menschen, die eine oder mehrere Fremdsprachen beherrschen, entscheiden sich bei einem moralischen Dilemma eher für die Seite, die der Gesellschaft am ehesten nutzt.

Fremdsprachenkenntnisse sind heute keine Seltenheit mehr. Im Gegenteil: Da die Welt durch das Internet und eine globalisierte Marktwirtschaft immer weiter zusammenwächst und Grenzen immer mehr verschwinden (vor allem in der Arbeitswelt), sind viele Menschen darauf angewiesen zumindest eine weitere Sprache in ihren Wortschatz aufzunehmen.

Ob der Einzelne nun weiterhin in seinem Heimatland lebt und die Fremdsprache in Ausnahmefällen oder nur während der Arbeitszeit nutzt, oder auswandert und die Fremdsprache tagtäglich einsetzt – Forscher beobachteten während einer Studie folgendes Phänomen:

  • Gelangen wir in eine Situation, die wir in einer fremden Sprache lösen müssen, fällen wir die Entscheidung mit weniger Emotionen.
  • Entscheidungen, die uns in unserer Muttersprache auferlegt werden, fällen wir mit einem sehr viel größeren Anteil an Emotionen.
  • Vor allem, wenn es sich dabei um moralische Dilemma handelt, sind die Entscheidungen in vielen Fällen sehr unterschiedlich.

Diese Beobachtungen lassen die Schlussfolgerung zu, dass „reine“ Muttersprachler weniger utilitaristisch handeln, als Menschen, die eine oder mehrere Fremdsprachen sprechen. Der Grund dafür liegt vor allem darin, wie wir Mutter- und Fremdsprachen lernen.

Die Studienergebnisse

In dem besagten Experiment der Forschungsgruppe standen die Probanden vor einem außerordentlich schwierigen Dilemma:

  • Auf einer Bahnschiene liegen fünf Menschen.
  • Ein Zug kommt auf sie zu.
  • Der Befragte könnte an einem Hebel ziehen und den Zug umleiten.
  • Dafür würde er jedoch eine weitere Person opfern, die auf der Ausweichschiene liegt.

Was nun, war die große Frage? Die eine Person opfern, damit fünf Menschen überleben? Oder Nichtstun und das Unvermeidbare geschehen lassen, dafür jedoch nicht direkt für den Tod eines anderen Menschen verantwortlich zu sein. Die rationale und logische (utilitaristische) Entscheidung, wäre den Zug umzuleiten, doch unsere Moral macht uns hier einen Strich durch die Rechnung, da wir (im Normalfall) keine Menschen töten können und dürfen.

Interessant ist die Studie jedoch, weil die Teilnehmer in zwei Gruppen aufgeteilt wurden. Die erste Gruppe erhielt die Aufgabe in ihrer Muttersprache. Die andere Gruppe musste die Aufgabe in einer Fremdsprache lösen. Das Ergebnis: Muttersprachler entscheiden sich seltener dazu, einen Menschen aktiv „zu opfern“ und damit der Schuldige zu sein. Auch, wenn sie damit die anderen fünf Menschen retten könnten.

So lernen wir Sprachen

Aber warum konnten die Forscher beobachten, dass moralische Entscheidungen in der Muttersprache emotionsgeladen gelöst wurden, während die Situationen in einer Fremdsprache sehr nüchtern gelöst werden? Das liegt vor allem daran, wie wir Muttersprache und Fremdsprache lernen:

Die Muttersprache lernen wir von Kind auf. Sie wird uns von den Eltern, der Familie und engen Freunden indirekt beigebracht. Emotionen spielen hier eine große Rolle, die wir auch im Erwachsenenalter nicht komplett ablegen. Diese Emotionen bestimmten unsere Moral beziehungsweise unsere Moralvorstellungen – und diese wiederrum beeinflussen unsere Entscheidungen in hohem Maße.

Fremdsprachen dagegen lernen wir im Klassenzimmer und in Kursen. Wir müssen uns anstrengen, viel dafür tun, dass wir die Sprache nicht vergessen – das führt auch zu einem Verlust der Emotionalität in der Sprache. Und damit zu einem emotionsloseren Umgang in Situationen, wie der oben beschriebenen.

Kurz um: In Fremdsprachen-Situationen haben Menschen sehr viel weniger Angst vor Verlusten und sind eher gewillt ein Risiko einzugehen. Ob das nun gut oder schlecht ist, kann nicht mit Bestimmtheit gesagt werden. Entscheidungen, bei denen wir in einer Fremdsprache denken, sind jedoch ganz bestimmt eines: Rational und im Sinne der Gemeinschaft – auch, wenn das bedeutet, dass wir unsere Idealwerte über Bord werfen müssen.